Zunehmende Bedeutung statistischer Kompetenz
„Data Literacy“ - Die Etablierung eines eigenen Kompetenzbegriffs für den planvollen Umgang mit Daten zeigt bereits deutlich, dass der Vermittlung des Umgangs mit empirisch gewonnen Zahlenmaterial immer stärkere Aufmerksamkeit geschenkt wird. In der Tat sind statistisch-methodische Veranstaltungen in derart vielen verschiedenen Studiengänge, wie unter anderem in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, vertreten. In den Curricula dieser Studiengänge bildet die statistische und mathematische Methodenausbildung deutschlandweit mit bis zu 20 Prozent der Kreditpunkte einen wesentlichen Bestandteil an nahezu allen Universitäten und Fachhochschulen ab.
Fehlende Möglichkeiten individualisierten Lernens
Insbesondere in den wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen, in denen Statistik meist in Großveranstaltungen mit mehreren hundert Studierenden gelehrt wird, bleibt die ganzheitliche und individualisierte Förderung ebendieser Data Literacy jedoch auf der Strecke. Nicht zuletzt deuten zahlreiche empirische Befunde darauf hin, dass Studierende mit Fehlkonzepten in die Veranstaltungen starten und statistische Inhalte aufgrund dessen nicht adäquat verknüpfen oder in neuen Kontexten anwenden können. Hier kommt verschärfend hinzu, dass Studierende die Statistikveranstaltungen oftmals nur als verpflichtendes Beiwerk der gewünschten Studienrichtung wahrnehmen und diese letztlich zumeist mit Abneigung und geringer Motivation absolvieren.
Die fehlenden didaktischen Spielräume in Vorlesungen in großen Hörsälen erschweren es, der stetig wachsenden Heterogenität in den motivationalen, volitionalen und kognitiven Eingangsbedingungen soziodemographischer Eigenschaften durch individualisierte Lehr-Lernarrangements gegenzusteuern. Unter den klassischen Arrangements statistischer Großveranstaltungen mit eingeschränkten Möglichkeiten zur Berücksichtigung dieser individuellen Anforderungen verschärfen sich nicht selten im Laufe einer klassischen Methodenveranstaltung die Differenzen in den kognitiven und motivationalen Eingangskonstellationen.
Lernförderliche Bedingungen schaffen
In dem Projekt FLIPPS wird als möglicher Lösungsansatz dieser Herausforderungen und organisatorischen Bedingungen ein Flipped-Classroom-Design in einer statistischen Großveranstaltung implementiert und semesterbegleitend längsschnittlich evaluiert. Das Hauptmerkmal des Flipped Classroom besteht darin, dass Wissensvermittlung und Anwendung bzw. Übung insofern vertauscht werden, dass sich die Studierenden das neue Wissen selbstständig mit Hilfe von bereitgestellten Lernmaterialien, wie z. B. Lernvideos, interaktiven Visualisierungen, ausgewählten Lehrtexten und Aufgaben außerhalb der Lehrveranstaltung aneignen. In der Präsenzzeit liegt der Fokus auf der aktiven Bearbeitung komplexer Aufgabenstellungen und deren Diskussion mit individueller Betreuung der Studierenden.
Das Potential des Flipped Classroom für die Selbstlernzeit liegt insbesondere darin, dass verschiedenartige Lernmaterialien entsprechend des individuellen Lerntyps ausgewählt, beliebig oft wiederholt und die Lernzeit und -geschwindigkeit an die eigenen Lernbedürfnisse angepasst werden können. Für die Präsenzveranstaltungen wird vorausgesetzt, dass die Studierenden sich selbständig mit Hilfe der Lernvideos vorbereitet haben, um sich in deren Verlauf intensiv mit statistischen Daten und Methoden auseinanderzusetzen zu können.
Daher liegt das Potential der Präsenzzeit darin, dass die frontale Wissensvermittlung in den Hintergrund rückt und die Studierenden stattdessen aufbauend auf deren Vorwissen in Kleingruppen aktiv anwendungsorientierte Aufgaben lösen. Der Dozent und ggfs. Tutoren übernehmen in diesem Szenario die Rolle von Coaches, welche die Studierenden individuell und unmittelbar bei Schwierigkeiten im Lösungsprozess beraten, kritische Diskussionen anregen, und den kritischen Umgang mit den Verfahren fördern. Durch diese Aktivierung wird erwartet, dass sich die Studierenden früher aktiv mit den Inhalten auseinandersetzen, eigene Fehlkonzeptionen schneller erkennen und diese durch Hilfestellungen von Kommilitonen oder den Lernhelfern direkt in der Veranstaltung aufgelöst werden können.